150 Jahre Soennecken: Werte und neue Wege in einer sich wandelnden Arbeitswelt
Die Soennecken eG feiert 150 Jahre Markengeschichte – ein Meilenstein, der nicht nur Anlass zur Rückschau, sondern auch zum Ausblick bietet. Im Gespräch erklärt der Vorstand, Dr. Benedikt Erdmann und Georg Mersmann, warum Purpose und Nachhaltigkeit heute wichtiger sind denn je, wie neue Geschäftsfelder erschlossen werden und warum Innovation eine Frage der Haltung bleibt.
Soennecken blickt auf 150 Jahre Markengeschichte zurück. Welche Werte haben diesen Weg geprägt – und wie übersetzen Sie diese heute in eine moderne Unternehmenskultur?
Dr. Erdmann: Friedrich Soennecken hat sein Unternehmen gegründet, um das Schreiben zu vereinfachen. Die Produkte, die er entwickelt hat, hatten alle ein Ziel: das Arbeiten zu erleichtern. Es ging um die Frage, wie Arbeit besser organisiert und damit lebenswerter gestaltet werden kann. Diese Frage zieht sich wie ein roter Faden durch die Entwicklung der Firma Soennecken, unsere Mitgliedsfirmen und der Genossenschaft. Heute sprechen wir von dem „Purpose“ eines Unternehmens.
Geld zu verdienen ist die Folge dieses inneren Antriebs – des Purpose. Eine moderne Unternehmenskultur fragt daher nicht nur, womit wir Geld verdienen und wie wir das am besten machen, sondern sie fragt auch, wofür wir das tun – und zwar über das Geldverdienen hinaus. Ein Produkt oder eine Dienstleistung wird nur dann erfolgreich sein, wenn es oder sie Mehrwert stiftet. Dieser Mehrwert muss definiert werden und Kern des Handelns eines Unternehmens sein. Bei uns ist es: Arbeit lebenswert zu machen – und zwar im Büro, zu Hause und unterwegs. Und das tun wir gemeinsam mit rund 800 angeschlossenen Handelsunternehmen.
Wie gelingt es Ihnen, diese gewachsenen Werte mit den Anforderungen einer zunehmend digitalen und dynamischen Arbeitswelt in Einklang zu bringen – und dabei innovationsfähig zu bleiben?
Dr. Erdmann: Gelingt uns das? Verglichen mit vielen anderen Unternehmen aus den Bereichen Technologie oder Medizin und Pharmazie finde ich nicht, dass wir und unsere Branche sonderlich innovativ sind. Selbstkritisch müssen wir sehen, dass wir doch meistens auf Entwicklungen reagieren und selten der Zeit voraus sind.
Und das beschreibt das Problem unserer Branche: Die Welt um uns herum verändert sich so schnell, dass wir alle Schwierigkeiten haben, damit Schritt zu halten. Es ist eine große Herausforderung, dieser Veränderung ohne Angst zu begegnen und sie aktiv mitzugestalten – statt ihr ablehnend oder blockierend entgegenzutreten. Doch das ist leichter gesagt als getan, denn es liegt in der Natur des Menschen, an Bewährtem festzuhalten. Insofern ist die zentrale Herausforderung, eine positive und offene Haltung gegenüber diesen Veränderungen einzunehmen.
Mit dem Einstieg in das Bildungssegment durch die Übernahme der Erstling GmbH erschließen Sie ein neues Geschäftsfeld. Welche unternehmerischen Ziele verfolgen Sie damit und wie fügt sich der Bereich in Ihre bestehende Struktur ein?
Mersmann: Am Anfang steht eine unangenehme Erkenntnis: Das Geschäft mit Büromaterial wird weder die Existenz unserer Mitgliedsfirmen noch die der Soennecken eG sichern. Wer das Gegenteil behauptet, macht sich oder anderen etwas vor. Es reicht also nicht, die Anstrengungen in diesem Marktsegment zu erhöhen. Und es reicht auch nicht, es bei der Feststellung zu belassen; sie muss Konsequenzen haben.
Unser Ziel ist es seit Jahren, auch in einer digitalisierten Arbeitswelt relevant zu sein. Und die Schule ist die Arbeitswelt unserer Kinder. Dieser Markt wird wachsen, weil Bildung als ein wesentlicher Treiber gesellschaftlicher Entwicklung verstanden wird. Die Investitionen des Staates in Bildung werden also zunehmen. Es ist auch keineswegs so, dass dieser Markt durch die Aktivitäten der vergangenen Jahre bereits ausgeschöpft sei. Wir stehen noch relativ am Anfang einer langen Entwicklung. Alle, die heute in eine Schule gehen oder mit Lehrerinnen und Lehrern über deren Arbeitsalltag sprechen, werden zu demselben Ergebnis kommen: Es gibt erheblichen Nachholbedarf in Ausstattung und Modernisierung. Und es geht nicht nur um Digitalisierung. In Schulen treffen sich analoge und digitale Welten. Beides wird relevant sein.
Wie wir die Erstling GmbH und den Schulmarkt in unsere Struktur integrieren, wissen wir noch nicht. Zunächst einmal wollen wir den Markt verstehen und die Akteurinnen und Akteure kennenlernen. Erst im zweiten Schritt werden wir organisatorische Entscheidungen treffen.
Besonders wichtig ist es aber, dass dieses Geschäft zu uns passt. Und das tut es. Denn auch Friedrich Soennecken hat seine Karriere einst mit einem Produkt für die Schule begonnen. Heute statten viele unserer Mitglieder Kinder mit allem aus, was sie für ihren Bildungsweg benötigen.
Mit der neu gegründeten Genossenschaft ‘wir sind raum’ setzen Sie auf Kooperation und neue Arbeitskonzepte. Welche strategischen Vorteile ergeben sich daraus für die Soennecken eG und Ihre Mitglieder?
Dr. Erdmann: Der Markt der Büroeinrichtung ist für uns von zunehmender Bedeutung. Er wird sich langfristig positiv entwickeln, auch wenn wir am Anfang einer vermutlich tieferen Delle stehen. Und durch externes wie auch internes Wachstum bieten sich für die Soennecken eG viele Möglichkeiten.
Doch wir haben immer wieder erlebt, dass auch sehr professionell aufgestellte Mitgliedsunternehmen in der Marktbearbeitung an ihre Grenzen kommen. Sie werden online oft nicht gefunden, und mitunter werden ihnen Großprojekte aufgrund ihrer regionalen Struktur nicht zugetraut. Außerdem fehlt ihnen der Austausch mit gleichgesinnten und leistungsstarken Partnerbetrieben.
Hier setzt wir sind raum an. Gemeinsam mit den Mitgliedern sind wir dort im Bereich der Online-Vermarktung, der Kundenansprache, der Projektdurchführung und auch im Bereich der Einkaufsoptimierung sehr erfolgreich unterwegs. Der Start ist gelungen. Nun geht es um Wachstum.
Ortloff in Köln ist als Traditionsunternehmen seit 2015 Teil der Soennecken-Gruppe.
Welche Rolle spielt der stationäre Handel in Ihrer strategischen Ausrichtung – insbesondere vor dem Hintergrund wachsender E-Commerce-Umsätze?
Dr. Erdmann: Dieses Jahr gehört Ortloff zehn Jahre zu Soennecken. Mittlerweile ist Ortloff das umsatzstärkste Fachgeschäft Deutschlands. Und wir erzielen stabile Ergebnisse. Man kann im Fachhandel also Geld verdienen – auch wenn es schwierig und anstrengend ist.
Die Erträge dieses Unternehmens sind aber nicht der Grund für unser Engagement im Einzelhandel. Seit wir Ortloff haben, ist die Zusammenarbeit der Soennecken eG mit unseren Einzelhändlerinnen und Einzelhändlern noch besser geworden. Es ist das eingetreten, was ich mir immer gewünscht habe: Wir sind Kolleginnen und Kollegen, wir haben dieselben Sorgen, und wir tauschen uns über Erfolge und Misserfolge in unserem Alltag aus. Darüber hinaus können wir als Genossenschaft Konzepte entwickeln und bei Ortloff testen, die wir dann unseren Mitgliedern zum Kopieren zur Verfügung stellen.
Ich sehe übrigens keinen Widerspruch zwischen E-Commerce und Einzelhandel – ganz im Gegenteil. Einzelhandelsbetriebe ohne Online-Angebot und eine professionelle Präsenz auf Instagram und Co. werden es langfristig schwer haben – vor allem, wenn sie eine jüngere Kundschaft für ihr Geschäft begeistern wollen. Digitale und analoge Welten verschmelzen, auch im Einzelhandel. Ortloff lebt vor, wie das funktionieren kann.
Sie positionieren sich deutlich in gesellschaftspolitischen Fragen, etwa mit Ihrem Engagement für Demokratie und Vielfalt. Warum ist dieses Bekenntnis für Soennecken als Wirtschaftsunternehmen relevant – und wie setzen Sie es konkret um?
Dr. Erdmann: Wir sind überzeugt, dass eine liberale, weltoffene und auf Kooperation basierende Gesellschaft erfolgreicher ist als eine, die das Trennende in den Vordergrund stellt und eher auf Abschottung setzt. Da wir Erfolg wollen, setzen wir uns auch für eine erfolgreiche Gesellschaft ein. Und eine Genossenschaft ist ein bisschen wie ein Staat im Kleinen. Wir sind eine urdemokratische Rechtsform: Alle haben eine Stimme und dürfen gleichberechtigt mitdiskutieren. Und in Staat und Genossenschaft gilt gleichermaßen, dass individuelles Engagement und Eigeninitiative ihre Existenzgrundlagen sind.
Ich habe in mittlerweile mehr als 25 Jahren Führungserfahrung in einer Genossenschaft verstanden, dass es notwendig ist, unterschiedliche Meinungen und Einstellungen zu akzeptieren und immer respektvoll und anständig miteinander umzugehen. Wir versuchen, Soennecken so zu führen, wie wir uns die Gesellschaft insgesamt vorstellen.
Dafür tun wir auch etwas. Soennecken ist ein – hoffentlich – diskriminierungsfreier Arbeitgeber, wir setzen uns in einer aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestehenden Arbeitsgruppe für demokratische Werte ein. Und wir unterstützen seit Jahren – in diesem Jubiläumsjahr besonders – die Gemeinschaftsstiftung „PlanBildung“, die sich für Kinder und Jugendliche aus prekären Verhältnissen einsetzt. Gemeinsam unterstützen wir die Schülerinnen und Schüler auf ihrem Weg zu einem erfolgreichen Schulabschluss und in die berufliche Ausbildung.
Medial diskutiert wurde Ihre Entscheidung, Tesla-Fahrzeuge aus dem Fuhrpark zu streichen – offenbar als Reaktion auf Äußerungen von Elon Musk. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen, und wie wurde das im Netzwerk aufgenommen?
Dr. Erdmann: Was die Trump-Regierung in Amerika tut, schadet uns und der Welt. Und Elon Musk ist einer der Hauptakteure dieser Regierung. Der Kragen ist mir geplatzt, als er sich öffentlich mit einer Wahlempfehlung für die AfD in die deutsche Politik eingemischt hat und mit einer Geste zu sehen war, die als Hitlergruß verstanden werden muss. Ich finde es wichtig, ein Zeichen der Ablehnung an ihn zu senden. Und ich halte es für falsch, diese verfehlte Politik durch den Kauf seiner Produkte mittelbar finanziell zu unterstützen. Erfreulicherweise sehen das viele wie wir, und Herr Musk spürt dies zurzeit schmerzhaft. Es freut mich, dass Menschen mit ihren Kaufentscheidungen offenbar doch etwas bewegen können.
Die Reaktionen waren weit überwiegend zustimmend. Aber natürlich gefällt das nicht allen. Damit war auch nicht zu rechnen.
In einer dezentralen Organisation wie Ihrer gilt Unternehmenskultur als stabilisierender Faktor. Wie schaffen Sie es, Zusammenhalt zu fördern und Mitarbeitende und Mitglieder langfristig an die Soennecken eG zu binden?
Dr. Erdmann: Bindung setzt Beziehung voraus. Und Beziehungen müssen – im privaten wie auch im beruflichen Kontext – aktiv gestaltet werden, sonst gehen sie auseinander. Gute Beziehungen sind also das Ergebnis bewussten Handelns und machen Arbeit – die sich aber lohnt. Es ist wie in jeder Familie: Zusammenleben braucht gleichermaßen Regeln wie Toleranz. Im Unternehmen kommt hinzu, dass wir uns gemeinsamen Zielen und Ergebnissen sowie den nötigen Maßnahmen auf dem Weg dorthin verpflichten müssen. Wir haben sehr erfolgreich Prozesse und Strukturen etabliert, die das sicherstellen.
Die Transformation im Handel und in der Arbeitswelt schreitet voran. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für die Soennecken eG – und welche Chancen wollen Sie in den kommenden Jahren aktiv nutzen?
Mersmann: Die größte Herausforderung ist die Geschwindigkeit der Veränderung. Wir sind zu langsam. Unsere angestammten Märkte, die im Wesentlichen darauf basieren, dass viele Menschen im Büro Papier beschreiben und bedrucken, lochen und abheften, aufbewahren und vernichten, werden uns nicht mehr lange ernähren. Und doch führen wir viel zu oft Diskussionen darüber, unsere Anstrengungen zu vergrößern, um diesen Prozess aufzuhalten oder zu verlangsamen. Ist das wirklich klug? Ich meine: nein.
Stattdessen versuchen wir, neue Geschäftsfelder aufzubauen, die auch in einer digitalisierten Arbeitswelt Wachstum und Profitabilität sicherstellen, ohne allerdings unser Stammgeschäft zu vernachlässigen.
Herr Dr. Erdmann, Herr Mersmann, vielen Dank.
soennecken.de
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