Marc Sonnemann: „Retail Media ohne Daten ist nur WKZ“

Marc Sonnemann, Team Lead Retail Media & Content 3rd-Party E-Commerce bei der Edding Gruppe, spricht über datengetriebenes Marketing, Amazon als Benchmark und die Chancen für stationäre Händler. Sein Credo: Ohne Zugriff auf echte KPIs bleibt Retail Media bloß Werbung von gestern.

Herr Sonnemann, Sie sagen: „Retail Media ohne Daten ist nur WKZ.“ Was genau beobachten Sie derzeit im Markt – und woran erkennt man, ob eine Kampagne tatsächlich wirkt oder nur Budget verbrennt?

Sonnemann: Zunächst: Ich spreche hier bewusst nicht von geheimnisvollen Super-KPIs, sondern von ganz grundlegenden Indikatoren. Eine gute Retail-Media-Kampagne lässt sich daran erkennen, dass ich passende Werbemittel auswählen und zielgerichtet einsetzen kann – je nachdem, ob ich Awareness, Conversion oder Loyalität adressieren will. Das ist der erste Gradmesser: Ist das Angebot flexibel genug oder bekomme ich nur Standardbausteine aus dem Werbekatalog?

Der zweite Punkt betrifft die Datenlage: Entscheidend ist nicht nur, was ich an Daten erhalte, sondern wann und wie oft. Idealerweise kann ich in Echtzeit oder zumindest täglich auf relevante KPIs zugreifen – also Impressionen, Klicks, Add-to-Carts, Käufe. Und das nicht als PDF-Bericht auf Anfrage, sondern über ein Portal, in dem ich Kampagnen während der Laufzeit steuern und optimieren kann.

Der dritte Punkt: Die Attribution. Ich muss nach Kampagnenende genau nachvollziehen können, was funktioniert hat – nicht nur hinsichtlich der Umsätze, sondern auch in Bezug auf Creative-Elemente, Keywords, Visuals. Daraus lassen sich Rückschlüsse ziehen – für die nächste Kampagne, für andere Plattformen, für die Markenführung insgesamt.

Und wie oft ist dieses Idealbild heute Realität? Nutzen die Plattformen die Möglichkeiten wirklich aus?

Sonnemann: Amazon ist weiterhin der Gold-Standard. Die Granularität und Frequenz der Daten, die Werbetreibende dort bekommen, ist unerreicht – kein anderer Marktplatz, keine andere Plattform liefert Vergleichbares. Bei vielen anderen endet die Analyse leider schon bei der Reichweite. Ich bekomme dann maximal Impressions, aber keine validen Klickdaten oder gar Conversions.– also die Kennzahl, die bei Retail Media immer hervorgehoben wird. Das ist zu wenig – gerade, wenn ich die Wirkung einer Maßnahme objektiv bewerten will. Ich will ja nicht nur wissen, ob ich gesehen wurde, sondern ob das Gesehene auch gekauft wurde.

Wie sah der Weg bei Edding aus – wie haben Sie Retail Media intern etabliert?

Sonnemann: Das war kein Big Bang, sondern ein organisches Wachstum. Wir haben bei Edding schon lange eine starke Trade-Marketing-Abteilung, die eng mit Vertrieb, Produktentwicklung und Brand Management verzahnt ist. Retail Media war eine logische Erweiterung – zuerst als Projekt, später als eigenständiger Bereich. Technik war dabei kein Showstopper. Im Gegenteil: Ich empfehle jedem, erstmal pragmatisch zu starten. Für den Einstieg reicht Excel. Wichtig ist, das Thema zu verstehen, erste Cases aufzusetzen, Learnings zu generieren – und erst dann über Automatisierung und Tools nachzudenken.

Schwieriger war es, die nötige Haltung zu etablieren: Retail Media ist keine reine Fortführung des klassischen Trade Marketings auf digitaler Ebene. Es geht nicht nur um Sichtbarkeit, sondern um messbare Wirkung. Und diese Wirkung lässt sich eben nur mit Daten steuern und verbessern. Diese Anspruchshaltung im Unternehmen zu verankern, war die eigentliche Herausforderung.

Viele Plattformen liefern kaum belastbare Insights. Was muss passieren, damit Retail Media nicht zur Black Box für Marken verkommt?

Sonnemann: Retail Media kehrt die klassische Beziehung um. Früher war die Marke der Anbieter, der Händler der Käufer. Heute kaufen wir als Marke eine konkrete Dienstleistung beim Händler ein – nämlich digitale Werbeflächen. Und da ist es nur legitim, auch etwas zurückzuverlangen. Ich will keine personenbezogenen Daten, keine demografischen Tiefenanalysen – sondern einfach nachvollziehbare Leistungskennzahlen (KPIs): Wird mein Produkt gesehen? Wird darauf geklickt? Wird es gekauft?

Plattformen müssen verstehen: Wenn sie diese Basisdaten nicht liefern, machen sie sich selbst schwächer. Denn dann kann ich als Marke nicht unterscheiden, ob eine Platzierung funktioniert – oder ob ich schlicht für Sichtbarkeit zahle, die nichts bringt. Transparenz ist kein Selbstzweck. Sie ist die Voraussetzung für gemeinsamen Erfolg.

Neben Amazon: Welche Plattformen sind für Sie derzeit relevant – auch international?

Sonnemann: Im PBS-Kontext schauen wir aktuell stark auf internationale Marktplätze. Besonders spannend ist Bol.com in den Niederlanden. Dort gibt es nicht nur einen funktionierenden Selfservice für Retail Media, sondern auch eine Plattformstruktur, die Markenführung und Performance gut zusammenbringt.

In Deutschland geht es oft weniger um die nächste Plattform – sondern um die Voraussetzungen. Retail Media funktioniert nur dann, wenn Logistik, Sortiment und Steuerbarkeit zusammenspielen. Und das ist nicht bei allen Plattformen der Fall.

Haben Sie ein Beispiel, wo Retail Media für Edding besonders gut funktioniert hat?

Sonnemann: Ja, wir haben im vergangenen Jahr ein Videoformat eingesetzt, das nicht das Produkt, sondern den Anwendungsfall in den Mittelpunkt stellt. Also nicht einfach einen Stift zeigen – sondern: Inspiration für unterschiedliche Anwendungen. ? Das hat funktioniert, weil es emotionaler ist und näher an der realen Nutzung. Es geht darum, Anwendung und Marke intelligent zu verknüpfen – online wie stationär. Und: Es zeigt, wie wichtig das kreative Format ist. Wer sich vom reinen Produktselling löst, schafft echte Relevanz.

Viele stationäre Händler fühlen sich beim Thema Retail Media außen vor. Ist das berechtigt – oder gibt es Wege, sie einzubinden?
Sonnemann: Das hängt stark davon ab, wie eng oder weit man Retail Media definiert. Wenn man nur an digitale Platzierungen auf Onlineplattformen denkt, ist der stationäre Fachhandel systembedingt außen vor. Aber Retail Media umfasst im weiteren Sinne auch Displays, Aufsteller, Schaufensteraktionen – also Medien, die am Point of Sale sichtbar sind.

Natürlich ist das schwerer messbar. Aber auch ein Händler mit Warenwirtschaft kann heute schon nachvollziehen, ob eine Aktion funktioniert – etwa durch Abverkaufsdaten, Bonzahlen oder Frequenzanalysen. Wichtig ist: Niemand erwartet vom stationären Händler tägliche Echtzeitdaten. Aber es braucht den Dialog – und das Bewusstsein, dass auch stationäre Werbeflächen datenbasiert optimiert werden können. Flächenproduktivität ist im Handel eine wichtige Kennzahl und Händler wollen ja wissen, wie viel Umsatz sie pro Quadratmeter machen. Genau da setzt die Zusammenarbeit mit der Industrie an.

Was würden Sie Händlerinnen und Händlern konkret mit auf den Weg geben, die sich dem Thema nähern wollen?

Sonnemann: Ganz einfach: Wenn Sie als Händler Retail-Media-Angebote machen, dann stellen Sie sicher, dass drei Dinge erfüllt sind: Erstens, dass Sie passende Werbeformate anbieten können – nicht nur statische Banner oder PDFs. Zweitens, dass Sie während der Laufzeit Zugriff auf Daten haben und Anpassungen möglich sind. Und drittens, dass Sie nach der Kampagne gemeinsam mit dem Hersteller auswerten: Was lief gut? Was lässt sich verbessern?

Wer diese drei Punkte beachtet, hebt Retail Media auf eine neue Ebene – weg vom Gießkannenprinzip, hin zur wirksamen Markenkommunikation. Und das gilt online wie offline.

Herr Sonnemann, vielen Dank.
edding.de

Was bedeutet eigentlich …?“

KPI: Key Performance Indicator – Leistungskennzahl zur Messung von Kampagnenerfolg, z. B. Klicks oder Käufe.

Awareness: Markenbekanntheit – Ziel ist, Aufmerksamkeit beim Kunden zu erzeugen.

Conversion: Umwandlung von Interesse in Kauf – z. B. nach einem Klick auf eine Anzeige.

Attribution: Zuweisung des Erfolgs – welche Maßnahme hat zur Kaufentscheidung geführt?

Fulfillment: Abwicklung der Bestellung – Lagerung, Versand, Retourenmanagement.