Roberta Metsola, Präsidentin des Europäischen Parlaments Europa im Fokus: Über Handel, Vielfalt und Bürgernähe

Im Interview erläutert die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, ihre Ziele, Visionen und wie sie den europäischen Zusammenhalt stärken will. Sie spricht über die bedeutende Rolle des Einzelhandels und die Notwendigkeit, diesen zu stärken und zu unterstützen.

Roberta Metsola, Präsidentin des Europäischen Parlaments „Wir müssen Investitionen in Europa beschleunigen, um die europäische Wirtschaft auf einen stabilen Wachstumspfad zu bringen und unsere Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.“
Roberta Metsola, Präsidentin des Europäischen Parlaments „Wir müssen Investitionen in Europa beschleunigen, um die europäische Wirtschaft auf einen stabilen Wachstumspfad zu bringen und unsere Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.“

Wie sehen Sie Ihre Rolle als Präsidentin des Europäischen Parlaments, und welche Hauptziele haben Sie für Ihre Amtszeit definiert?
Metsola: Als Präsidentin des einzigen direkt gewählten EU-Organs spüre ich die Verantwortung auf meinen Schultern, für unsere Bürger*innen Ergebnisse zu liefern.
Als ich ins Amt gewählt wurde, äußerte ich den Wunsch, den Menschen erneut ein Gefühl der Überzeugung und der Begeisterung für unser gemeinsames europäisches Projekt zu vermitteln. Diese Ambition bleibt auch heute noch eine meiner zentralen Prioritäten.

Die Förderung von Gleichheit und Vielfalt ist ein weiteres Schlüsselelement meiner Arbeit. Ich möchte, dass jedes einzelne Mädchen, jeder einzelne Europäer die gleichen Möglichkeiten und Rechte erhält. Dieses Ziel ist einer meiner Prioritäten während meiner Amtszeit.

Angesichts der wirtschaftlichen Auswirkungen einer globalen Pandemie, der anhaltenden russischen Aggression auf unserem Kontinent, der beispiellosen Folgen des Klimawandels und einer Migrationskrise vor unserer Haustür, kämpfe ich jeden Tag für Europa und unsere gemeinsamen Werte von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und Grundrechten.

Wie beabsichtigen Sie, den Mittelstand bei der Anpassung an die Digitalisierung, den Klimawandel und die globale Konkurrenz zu unterstützen?
Metsola: Die Bürger*innen müssen im Zentrum all unseres Handelns stehen, auch der Mittelstand als treibende Kraft unseres wirtschaftlichen Wachstums. Es sind unsere Unternehmer*innen, die Europas Wettbewerbsfähigkeit stärken. Keine unserer Strategien kann erfolgreich sein, wenn wir die Menschen auf diesem Weg nicht mitnehmen.
Ökologische Nachhaltigkeit und Digitalisierung dürfen nicht lediglich denjenigen vorbehalten sein, die sich Hybridautos und hochwertige energieeffiziente Isoliersysteme leisten können. Wir müssen klarstellen, dass es keinen Gegensatz zwischen „Umweltschutz“, „Wirtschaft“ und sozialem Zusammenhalt geben darf. Klimaschutz und digitale Transformation müssen Wachstumsstrategien sein.

Wie wollen Sie als Präsidentin des Europäischen Parlaments den Binnenmarkt stärken und faire Handelsabkommen mit anderen Ländern fördern, um den Handel und die Industriebetriebe in Europa weiterhin wettbewerbsfähig zu halten?
Metsola: Unser Binnenmarkt, der in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen feiert, ist einer unserer größten Vermögenswerte – darauf müssen wir aufbauen. Wir müssen Investitionen in Europa beschleunigen, um die europäische Wirtschaft auf einen stabilen Wachstumspfad zu bringen und unsere Wettbewerbsfähigkeit weiter zu stärken.

Roberta Metsola spricht vor dem Europaparlament in Brüssel: „Ich möchte, dass die Menschen wieder ein Gefühl der Überzeugung und der Begeisterung für unser gemeinsames europäisches Projekt gewinnen.“
Roberta Metsola spricht vor dem Europaparlament in Brüssel: „Ich möchte, dass die Menschen wieder ein Gefühl der Überzeugung und der Begeisterung für unser gemeinsames europäisches Projekt gewinnen.“

Die Vollendung der Kapitalmarktunion ist entscheidend, um dieses Ziel zu erreichen, und das Europäische Parlament trägt dazu bei. Der Europäische Green Deal ist genauso sehr von Sicherheit und der Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit geprägt wie von der grünen Transformation.

Wenn wir in Know-how und Technologie investieren und in die in der Transformation notwendigen Fähigkeiten fördern, stärken wir unsere Wettbewerbsfähigkeit. Ein freier, regelbasierter Welthandel und die stetige Weiterentwicklung des Netzwerkes von Handelsabkommen der Europäischen Union sind in diesem Zusammenhang ebenfalls wesentliche Bestandteile.

Durch die Corona-Pandemie und dem Angriffskrieg auf die Ukraine schränken die Bürger*innen in der Europäischen Union ihr Konsumverhalten ein. In den Innenstädten kommt es vielfach zu Geschäftsaufgaben. Inwieweit kann Europa den stationären Fachhandel unterstützen, damit es auch zukünftig noch Orte der Begegnungen und des Einkaufes in den Innenstädten gibt?
Metsola: Der Einzelhandelssektor in der EU ist bedeutend für Arbeitsplätze und die Belebung von städtischen und ländlichen Gebieten. Dieser Sektor wurde tatsächlich durch mehrere Faktoren, darunter Digitalisierung und den expandierenden E-Commerce, beeinflusst.

Wir sind auch hier, um den Einzelhändlern zuzuhören und ihre Bedürfnisse zu verstehen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Städten, Regionen, Einzelhändlern, Stadtplanern und anderen relevanten Akteuren ist entscheidend, um sicherzustellen, dass optimale Bedingungen (wie Verbraucherbedürfnisse, Zugänglichkeit, digitales Know-how) geschaffen werden, damit sie florieren können.

Roberta Metsola und Olaf Scholz beim Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) in der Republik Moldau Anfang Juni dieses Jahres.
Roberta Metsola und Olaf Scholz beim Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) in der Republik Moldau Anfang Juni dieses Jahres.

Der Green Deal wirkt sich u. a. durch die Gesetzgebung wie das Lieferkettengesetz, das Recht auf Reparatur und Kreislauswirtschaftsmaßnahmen aus. Inwieweit ist es gesichert, dass die Unternehmen nicht mit immer mehr Bürokratie konfrontiert werden? Sollte nicht der Bürokratieabbau eine zentrale Rolle spielen?
Metsola: Investitionen in die europäische Führungskraft, in strategische Technologien wie Solarenergie, Windenergie, Wärmepumpen und Batterien werden uns allen zugutekommen. Wir müssen einen einfacheren Zugang zu bestehenden Finanzierungen ermöglichen und Bürokratie abbauen. Wir benötigen fairen Wettbewerb. Der „Brüssel-Effekt“, bei dem die EU-Gesetzgebung zum weltweiten Standard wird, funktioniert, doch wir sollten einen bürokratischen und protektionistischen Ansatz vermeiden.

Darüber hinaus hat sich die Europäische Kommission dazu verpflichtet, die Informationspflicht zu vereinfachen und um 25 Prozent zu reduzieren. Dies ist ein wichtiger Schritt, den ich begrüße.

Beim Europagipfel in Moldau traf Roberta Metsola auch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
Beim Europagipfel in Moldau traf Roberta Metsola auch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. © Foto: European Union / Daina Le Lardic

Wie sieht Europäische Parlament die Einführung eines digitalen Euros? Wenn dies positiv gesehen wird, wie sollten sich die Händler darauf vorbereiten?
Metsola: Der digitale Euro könnte eine wichtige Rolle beim Zugang zu öffentlichen Geldern in einer immer digitaler werdenden globalen Wirtschaft spielen und gleichzeitig die monetäre Souveränität des Euroraums stärken. Wir befinden uns erst am Anfang dieser Diskussion, aber das Europäische Parlament ist bereit, konstruktiv an dieser Debatte teilzunehmen.

Abschließend noch eine Frage zu Ihrer Arbeit als Präsidentin des Europäischen Parlaments: Wie wollen Sie den Dialog mit den Bürger*innen in den EU-Ländern verbessern?
Metsola: Die europäischen Bürger*innen stehen im Mittelpunkt all dessen, was wir im Parlament tun. Sie sind der Grund, warum wir tun, was wir tun, und das dürfen wir niemals vergessen. Unsere Bürger*innen sollten auf ein Europa vertrauen können, das ihre Erwartungen erfüllt und seinen Verpflichtungen und Werten gerecht wird.

Wir wollen helfen, die Probleme der Menschen zu lösen, aber der erste Schritt dazu besteht darin, ihnen zuzuhören und zu erfahren, welche Probleme und Sorgen sie haben, um sie dann direkt anzugehen.

Eine engere Beziehung zu den Bürger*innen ist von entscheidender Bedeutung. Jeder sollte sich einbezogen fühlen, denn wir alle sind Teil Europas, und alle unsere Stimmen zählen, unabhängig von ihrer Größe oder geografischen Lage. Deshalb bemühe ich mich, jedes Land in der EU zu besuchen, um aus erster Hand die Anliegen der Europäer*innen zu hören. Wie ich bereits bei meiner Amtseinführung betonte, will ich die Brüsseler und Straßburger „Blase“ durchbrechen.

Frau Präsidentin, vielen Dank für Ihre Ausführungen. (gia)
the-president.europarl.europa.eu/

30 Jahre europäischer Binnenmarkt

Auch wenn der EU-Binnenmarkt noch nicht vollendet ist, hat er doch den Alltag von Unternehmen und Menschen erheblich erleichtert. Durch den 1993 ins Leben gerufene Binnenmarkt wurde der freie Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen in der gesamten EU ermöglicht. Das Europäische Parlament hat im Januar 2023 darüber debattiert, wie der Binnenmarkt Europa verändert hat und wie sein Potenzial voll ausgeschöpft werden kann. Die Abgeordneten nahmen eine Entschließung an, in der es heißt, dass die Errungenschaften des Binnenmarktes angesichts der Herausforderungen, vor denen die EU steht – von langfristigen geopolitischen Konflikten bis hin zum Klimawandel – nicht als selbstverständlich angesehen werden können. Die Abgeordneten fordern ein erneutes Engagement der Mitgliedstaaten und der EU-Organe sowie einen spezifischen Aktionsplan zur weiteren Stärkung des Binnenmarktes, insbesondere in Bereichen wie Dienstleistungen, Energie, Telekommunikation und Digitaltechnik. Der Binnenmarkt ist einer der Eckpfeiler der EU-Integration und bringt über 450 Millionen Menschen in ganz Europa zusammen.
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