Früher war mehr Weihnachtspost

Wenn diese Ausgabe erscheint, schreiten wir mit Meilenstiefeln auf das Jahresende zu. Kommt es Ihnen auch so vor, als hätten wir vor vier Wochen erst die Reste des letzten Sylvester-Feuerwerks von der Straße gekehrt? Aber bei einem Satz sträuben sich bei Anja Kuhn die Nackenhaare.

Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen: Der Dezember klopft schon an die Tür und mit ihm die Zeit der verführerischen Weihnachtsplätzchen, der Schokoladen-Nikoläuse und der Weihnachtspost.

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge stelle ich Jahr für Jahr fest: Früher war mehr Weihnachtspost. Mit jedem Jahr, das ins Land geht, ist die Zahl der Weihnachtsbriefe und Weihnachtskarten, die in meinem Briefkasten darauf warten, von mir gelesen zu werden, kleiner. So sehr ich die digitale Welt schätze, so sehr freue ich mich über handgeschriebene Zeilen in meinem Briefkasten.

Postkarten mit Urlaubsmotiv: Her damit! Ein farbiger Umschlag mit einer aufwendigen Geburtstagskarte – wunderbar. Und dann der Höhepunkt: Die Weihnachtspost. Ein wenig Gold hier, Rot und Grün – dort naturfarben und schlichte Eleganz – wie wunderbar.

Doch es gibt einen Satz, bei dem sich meine Nackenhaare hochstellen, sobald ich die ersten zwei Worte lese. Ein Satz, der sich im Gegensatz zu der schwindenden Weihnachtspost immer weiter ausbreitet, denn auch gesprochen wird er gerne eingesetzt. Sie merken schon: Ich drücke mich ein wenig darum, diesen Satz mit Ihnen zu teilen.

Dieser ganz bestimmte Satz heißt: „Das Jahr neigt sich dem Ende entgegen.“

Ich weiß gar nicht so genau, seit wann ich auf diesen Satz mit Antipathie reagiere. Ich glaube, es ist schon mehr als zehn Jahre her, als er mir das erste Mal auffiel. Im Jahr darauf habe ich mit geradezu kriminalistischem Gespür meine Weihnachtspost nach diesem Satz durchsucht. Da waren es schon gefühlt 10 von 20 Briefen oder Karten, die mit diesem Satz begonnen haben.

Sobald ich ihn lese – oder auch höre – frage ich mich, warum so viele Menschen ihre Weihnachtsgrüße mit ihm einleiten. Irgendwie klingt er nach einem Seufzer und so wenig nach Fröhlichkeit oder festlicher Stimmung. Vielleicht liegt es daran, dass viele Menschen am Ende des Jahres müde sind und einfach alles gesagt ist. Ihnen fällt schlicht nichts Kreatives mehr ein.

Vielleicht liegt es auch daran, dass sie sich selbst vor dem Jahr verneigen. Denn wenn wir ehrlich sind, kann sich das Jahr gar nicht verneigen. Es geht einfach zu Ende und wir wechseln am nächsten Tag die Jahreszahl. Vielleicht kommt dieser Satz auch daher, dass ein Wein zur Neige geht und wir bedauern, dass – ähnlich wie bei einem guten Tropfen – das ein Jahr vorbei ist.

Oder aber das Jahr beugt sich, weil es so viele negative Ereignisse hervorgebracht hat. Ok, wenn ich mir die Nachrichtenlage anschaue, aber lassen wir das. Das ist nicht Thema. Mein Thema ist es dagegen, Ihnen wieder mehr Lust auf individuell geschriebene Zeilen zu machen.

Gerade weil um uns herum so viel in Bewegung ist, empfinde ich handschriftliches als besonderes wertvoll. Handschrift ist individuell. Handschrift ist persönlich. Handschrift ist manchmal herausfordernd zu lesen (meine übrigens auch sagen jedenfalls diejenigen, die meine Zeilen im Briefkasten finden). Und doch hat sie einen ganz besonderen Reiz. Sie zeigt, dass sich der Schreibende Zeit nimmt. Das fängt bei der Auswahl des Materials an. Wir müssen uns entscheiden: Karte oder Briefpapier? Farbiger Umschlag oder Umschlag mit Seidenfutter – das knistert so schön und ist doppelt verheißungsvoll – finde ich.
Dann kommt der vermeintlich schwierigste Teil: die Gedanken darüber, was wir zu Papier bringen wollen. Steht der erste Satz, folgt der zweite schon viel schneller. Vielleicht ist das der Grund, das „das Jahr neigt sich dem Ende entgegen“ so gerne geschrieben oder gesagt wird: Er fällt uns schnell ein und ist vermeintlich ein guter Anfang für die Weihnachtsgrüße.

Ich habe einen Vorschlag für sie: Wie wäre es, wenn Sie sich bei jedem, dem Sie schreiben wollen, überlegen, was Sie miteinander verbindet. Was haben Sie in den vergangenen Wochen und Monaten mit dem Menschen erlebt? Bringen Sie das doch zu Papier. Als geschriebene Erinnerung, die die Verbindung zu ihm unterstreicht. Eine angenehme Situation, ein gutes Gespräch, ein erfolgreiches Projekt oder auch ein Missgeschick, das bei einem Termin passiert ist – was immer es ist – nutzen Sie es als Aufhänger für persönliche Worte und Wünsche. Sie müssen keinen epischen Roman schreiben, ein paar Sätze, die etwas tiefer ins Detail gehen, reichen schon. So, dass der gemeinsame Moment sofort wieder lebendig wird.

Oder schreiben Sie von einem besonderen Moment, der das ablaufenden Jahr besonders für Sie hat werden lassen. Eine flüchtige Begegnung, die Ihnen auch heute noch ein Lächeln ins Gesicht zaubert oder eine Anekdote, die Sie gelesen haben und weitergeben möchten.

Sie können auch Ihre Vorfreude auf das kommende Jahr ausdrücken, Hoffnung verbreiten, einen Dank aufschreiben oder ein Zitat weitergeben, das sie inspiriert hat. Egal was es ist: Wichtig finde ich, dass es individuell ist und dass es von Herzen kommt. Denn dann geschieht etwas Besonderes: Sie berühren Ihre Gegenüber.

Worte, die andere Menschen berühren, haben die Kraft, Verbindungen zu stärken. Am Ende ist es doch genau das, was wir uns alle wünschen: Starke Verbindungen, die unsere täglichen Herausforderungen überdauern.
Ich wünsche Ihnen viel Inspiration für Ihre Weihnachtspost. Genießen Sie die vorweihnachtlichen Wochen, lassen Sie sich die köstlichen Plätzchen schmecken und freuen Sie sich über die Worte, mit denen Sie anderen eine Freude machen und die Worte; die Sie erhalten.
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